Ein Preis für musikalische und szenische Spitzenleistung

Diese Spielzeit ging der Aalto-Bühnenpreis zum ersten Mal an ein Kollektiv: den Opernchor des Aalto-Musiktheaters! Was noch alles zu dem Alltag im Opernchor dazugehört, kann man in der Festrede von meinem wunderbaren Kollegen Michael Haag erfahren:

Liebe Festgäste,

„Ein großer Tag, ein Ehrentag“…

…so singt Herr von Faninal im „Rosenkavalier“ und so wird er es auch bei der Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit tun.

Wir, der Opernchor des Aalto-Theaters, müssen aber gar nicht so lange warten, denn für uns ist mit der Aalto-Preisverleihung heute schon so ein großer Tag, ein Ehrentag.

Erstmals wird dieser Preis nicht an eine Einzelperson, sondern an eines der großen Kollektive des Theaters verliehen. So darf sich einerseits jedes einzelne Mitglied als Preisträger fühlen, andererseits ist dieser Preis aber auch eine Auszeichnung dafür, dass man uns, so sollte es im Idealfall ja auch sein, nicht nur als individuelle Künstlerpersönlichkeiten sieht, sondern als ein sich geschlossenes homogenes Ganzes wahrnimmt – den Chor.

Um zu diesem homogenen Ganzen zu gelangen, bedarf es aber täglicher und kontinuierlicher Arbeit. Damit wäre dann auch die manchmal etwas scherzhaft gestellte Frage, was wir denn tagsüber so tun, schon beantwortet, nämlich: Üben bzw. Proben.

Im Chor kann man sich nicht aussuchen, welche Stücke am Besten zur eigenen Stimme passen: Man muss singen, was gerade verlangt wird. Unser Repertoire reicht von der Barockoper bis zum zeitgenössischen Musiktheater, von der Oper bis zum Musical und schließt auch die Mitwirkung bei Aufführungen chorsinfonischer Werke in unserer großartigen Philharmonie mit ein.

Die eigene Stimme muss dabei je nach Anforderung lyrisch, dramatisch oder buffonesk gefärbt werden können und dieser Wechsel vollzieht sich oft innerhalb eines Tages.

Sich dem Gesamtklang des Chores unterzuordnen fällt nicht immer leicht, aber der Gesamtklang ist es, auf den es letztlich ankommt und der wiederum entsteht durch das Timbre und die gesanglichen Möglichkeiten eines jeden Mitglieds. Hier ist der Chorleiter gefragt, der je nach Stück einer besonderen Klangvorstellung nahe kommen möchte.

Mit Klaas-Jan de Groot haben wir einen Chordirektor, der unseren Klang verbessern konnte und der schon bei seinen Vordirigaten erkannt hat, dass unser Chor durchaus noch Potenzial hat. Dies zu erkennen ist eine Sache, aber auch zu wissen, wie man gestandenen Chormitgliedern nach jahrzehntelanger Berufszugehörigkeit noch den Willen zur Perfektionierung und Weiterentwicklung entlocken und das erkannte Potenzial abrufen kann, ist eine ganz andere (Sache). Durch diese Fähigkeit unterscheidet sich Herr de Groot von den allermeisten Chorleitern und darin zeigt sich auch sein außerordentliches Talent, das ihn als eine Ausnahme erscheinen lässt.

Seine unermüdliche Arbeit mit uns hat maßgeblich dazu beigetragen, dass wir heute mit dem Aalto-Preis ausgezeichnet werden.

Nachdem wir mit Herrn de Groot bzw. Herrn Jaskolka in zahlreichen Proben den Notentext und die darin vorgegebene musikalische Gestaltung differenziert einstudiert, den Klang optimiert haben und das Ganze auswendig können, stehen auch schon die szenischen Proben an.

Diese beginnen mit dem Konzeptionsgespräch, in dem das Bühnenbild und die szenische Interpretation des jeweiligen Werkes vorgestellt werden.

Dass es auch uns nicht immer gelingt, sich auf Anhieb in die Gedankenwelt eines solchen Konzeptes zu versetzen, mag Ihnen ein Trost sein und macht die Sache unter Umständen auch erst richtig interessant.

Heute kommen Regieteams unter anderem gerne nach Essen, weil sie von der Spielfreudigkeit des Opernchores gehört haben und sie im Opernchor einen neugierigen Partner für ihr „bewegendes“ Regiekonzept finden. Ein im wahrsten Sinne des Wortes „be-we-gen-des“ Regiekonzept legte Emily Hehl in dieser Spielzeit für den „Macbeth“ vor und erbrachte einen erneuten Beweis dafür, das das Opernklischee – Chor kommt rein, steht, singt, geht wieder ab - längst überwunden ist. Sie forderte uns heraus, indem sie in einer einzigen Inszenierung alles an Bewegungssprache zeigte, was wir jemals auf die Bühne gestellt haben:

Von durchchoreografierten Passagen über kurze Sprints oder minutenlangem Einfrieren war da alles dabei. Von dem im shakespearschen Original nach Duncans Ermorderung ausgebrochenem Erdbeben wurden wir heftigst durchgeschüttelt. Wir sollten Menschen, Tiere, Bäume bzw. Wurzeln und sogar Kartoffeln darstellen; so manch einer/ eine geriet dabei fast in eine Identitätskrise.

Den „Patria opressa“- Chor sangen wir auf dem Rücken liegend und über die gesamte Bühnenfläche verteilt mit wenig Kontakt zu den Kollegen und noch weniger Kontakt zum Dirigenten. Und dennoch wurde diese Chornummer immer zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends.

Wir waren ineinander verkeilt oder lagen übereinander und diese ständige Nähe und Distanzlosigkeit kann auch schnell in eine Stresssituation übergehen. Aber Nähe sind wir gewöhnt: Sieht man doch nur in wenigen Berufen seine Kollegen so häufig entweder in Unterwäsche oder in so krassen Outfits, dass man sie erst bei genauerer Betrachtung erkennt. So gibt es auch bei den Klavierhauptproben, in denen man zum ersten Mal im Originalkostüm und Maske auf der Bühne steht, immer viel zu lachen und man ist überrascht wie authentisch spießig mancher z.B. in den 60iger Jahren Kostümen bei „Fausto“ aussah. Auch sind ganz allgemein am Abend 3 bis 4 schnelle Kostümwechsel verbunden mit neuer Schminke und Perücke keine Seltenheit. Schwere oder warme Kostüme und Kopfbedeckungen, komplizierte Gewänder, lange Kleider mit Schleppe und dazu Stöckelschuhe helfen zwar in die Rolle zu finden, machen das Spielen aber nicht unbedingt leichter.

Neben all diesen Anforderungen und der mit zunehmendem Alter als belastend empfundenen Teilung des Dienstes und der vielen Wochenend- und Feiertagsdienste, die die Planung des Familien- und Privatlebens erschweren, bietet unser Beruf aber auch ganz wunderbare Seiten, die erheblich zur Vielseitigkeit und Abwechslung beitragen:

Berufsbedingt sind wir beispielsweise dazu verpflichtet, ständig zu reisen.

Unsere Reisefreiheit ist zwar nur während der Theaterferien uneingeschränkt zugesichert, aber unsere sonstige Reisetätigkeit ist doch meist sehr angenehm und vor allem: bezahlt, handelt es sich doch um Dienstreisen.

So begann die nun fast hinter uns liegende Spielzeit im hohen Norden in Schottland bei „Macbeth“. Der anschließende Besuch des berühmten Pferderennens in Ascot in „My fair Lady“ wurde allerdings kurzerhand nach Bayreuth verlegt. Ob dies aus Klima- oder Tierschutzgründen geschah, muss nochmals genauer recherchiert werden. Kritische Stimmen wurden nämlich laut

und forderten, man hätte doch die zu späteren Zeiten geplanten Reisen nach Cornwall zu „Tristan und Isolde“ und die Reise zu den Geisterrittern nach Salisbury sowie zum neuen Landsitz „Downton Abbey“ von Graf und Gräfin Almaviva, wo Figaros Hochzeit gefeiert werden sollte, in einer Tour zusammenlegen können. Aber die CO2 Bilanz spielt bei unserer Reisetätigkeit nun wirklich keine Rolle und bewegt sich immer im absolut vertretbaren Bereich. So gab es dann auch keine Einwände, als nach monatelangem Dauerregen im Frühjahr wegen „Aida“ eine Ägyptenreise anstand, die von uns allen und von einem zahlreich erschienen Publikum dankbar angenommen wurde. Da auch im nächsten Jahr wieder mit Dauerregen zu rechnen ist, wird diese Reise auch in der nächsten Spielzeit angeboten. Sichern sie sich rechtzeitig ihre Tickets, denn Ägypten könnte zugunsten anderer Reiseziele endgültig von der Reiseroute gestrichen werden.

Neben diesen Fernreisen gab es auch einige Städtetouren und auch hier wurde die Reiseplanung wieder kritisiert, wurden doch die Städte Paris, Rom und Leipzig gleich mehrfach besucht. Nach Paris durften wir mit der ganzen Familie reisen, d.h. mit Kinderchor und konnten die erhoffte weiße Weihnacht in der Pariser Bohèmeszene feiern. Bei unserem erst kürzlich absolvierten Parisaufenthalt für „Il Tabarro“ aus Puccinis Trittico war es dann eine eher feuchte Angelegenheit, stand doch die Aalto-Bühne unter Wasser.

In Rom konnten wir ein feierliches Te Deum anstimmen, mussten danach aber die Exekution von Cavaradossi und Toscas Sprung von der Engelburg mit ansehen. Überhaupt scheint Rom ein gefährliches Pflaster zu sein, denn auch die Giftmischerin Lucrezia Borgia trieb dort zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihr Unwesen. Somit war diese Rom-Reise zugleich auch eine Zeitreise.

In Italien mussten wir auch miterleben, wie angeblich alle Frauen mit den Männern umgehen oder umgekehrt, eben Cosi fan tutte, und waren froh, den Ausbruch des Vesuvs heil überstanden zu haben.

Ein weiters Städtereiseziel war schließlich Leipzig, wo wir wegen Louise Bertins „Fausto“ und auch wegen „Wozzek“ hin mussten. Wir müssen ehrlicherweise zugeben, dass wir bei „Wozzek“ von Leipzig sehr wenig gesehen haben, verbrachten wir doch die gesamte Probenzeit und die Aufführungen nur im Wirtshaus.

Neben unseren Reisen bietet unser Beruf auch die Möglichkeit, in viele andere Berufe hineinschnuppern zu dürfen. Aber – keine Angst: Eine Aufzählung aller Berufe, die wir in den Opern zu verkörpern hatten, erspare ich Ihnen und es würde auch den sowieso schon gesprengten Rahmen meines Vortrags weiter strapazieren. Ich kann Ihnen aber versicheren, dass wir alle am Liebsten zu unserem erlernten Beruf zurückkehren, nämlich dem der Sängerin und des Sängers. Viele konnten sich damit einen Traum erfüllen und fühlen sich privilegiert, an ihrem Aalto-Theater arbeiten zu dürfen und jeden Abend aufs Neue hier auf den Brettern stehen zu können, die für uns die Welt bedeuten.

Privilegiert und stolz sind wir auch, weil wir uns nun in die lange Liste der großartigen Künstler einreihen dürfen, die seit dem Jahre 1990 mit dem Aalto Preis ausgezeichnet wurden.

Für diesen Preis gilt Ihnen unser herzlichster Dank.

Wir nehmen ihn als besondere Motivation und auch Verpflichtung mit in unsere tägliche Arbeit, damit hier all abendlich aus den Leistungen eines jeden Einzelnen ein Gesamtkunstwerk entstehen kann.

Von Ihnen, hochverehrtes Publikum, wünschen wir uns:

Bleiben sie begeisterungsfähig, neugierig, kritisch, lachen und weinen sie mit uns gemeinsam, lassen sie sich verzaubern von dem, was sie hier an Energie und Emotionen während einer Aufführung live erleben dürfen.

Wie sagte schon Friedrich Nietzsche: Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.

Wir freuen uns darauf, Sie nach der theaterfreien Zeit ab September hier wieder begrüßen zu dürfen und lassen Sie uns dann gemeinsam einstimmen in ein: Freudig begrüßen wir die edle Halle, wo Kunst und Frieden immer nur verweile!

Ich danke Ihnen.

Damit Sie keine Konzerte und Opernaufführungen verpassen, verschicke ich Updates zu kommenden Terminen. Keine Sorge, Sie erwartet nicht mehr als eine email pro Quartal.

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